Interview mit Frau Dr. Gisela Horn

Interview mit Frau Dr. Gisela Horn (Privatdozentin für Germanistische Literatur­wissenschaft an der Universität Jena, Mitglied mehrerer Arbeitskreise in Jena, Or­ganisatorin des Stolpersteinprojektes für die Stadt Jena) im Februar 2018

Unsere erste Frage an Sie wäre, wann und in welchem Zusammenhang Sie das erste Mal vom Stolpersteinprojekt erfahren haben.

Frau Dr. Horn:
Also auf das Jahr genau kann ich das jetzt nicht sagen. Bestimmt relativ früh, weil ich wahrscheinlich im Fernsehen mal einen Bericht gesehen habe, dass in anderen Städten Stolpersteine gesetzt werden und das fand ich interessant und deswegen hat mich das dann auch für Jena interessiert. Also ich sag mal in den neunziger Jahren schon; Ende der Neunziger.

Der Anlass dazu war dann wahrscheinlich, dass das Projekt zu diesem Zeitpunkt dann gerade ins Rollen kam, oder?

Genau und es wurde ja dann relativ breit veröffentlicht, als Gunter Demnig anfing damit, und irgendwie muss ich das in diesem Zusammenhang mitbekommen haben.

Den Künstler Gunter Demnig, den haben Sie ja sicherlich bei den Stolperstein-Verlegungen persönlich kennengelernt. Was waren Ihre Eindrücke vom Umgang mit ihm?

Einmal ist er – und das muss man, denke ich, auch sein – sehr professionell. Also er weiß genau, was er wann braucht und wie das abzulaufen hat. Aber auf der anderen Seite habe ich ihn auch immer empathisch erlebt. Er ist jemand, der auch, trotzdem er schon so viele Steine gelegt hatte, immer wieder versucht hat, sich einzufühlen in die Situation und es ihm besonders gefallen hat, wenn das nicht einfach nur das Setzen von einem Stein war, sondern wenn das mit Begleitung geschah. Sei es durch Schüler, oder durch die Stifter der Steine oder so.

Wir haben auch versucht, mit ihm Kontakt aufzunehmen, was ein bisschen schwierig war, da er ein sehr vielbeschäftigter Mann ist, aber über Bekannte haben wir auch erfahren, dass für ihn jede Stolpersteinsetzung wieder etwas ganz Besonderes ist... .

Er ist ja mittlerweile Teil eines Teams, es sind je mehrere, die sich darum kümmern, ansonsten würde er das allein gar nicht schaffen. Es gibt da eine Verantwortliche für die Termine, eine Verantwortliche für Inschriften, eine Koordinatorin... . Dann gibt es noch eine Extraverantwortliche für die Legungen der Stolpersteine im Ausland. Also es ist jetzt mittlerweile eine Gruppe, die sich damit befasst.

Was hatten Sie von dem Projekt zunächst für Eindrücke, als sie das erste Mal davon gehört haben?

Also ich war beeindruckt und fand das richtig gut. Vor allen Dingen weil die Zahlen – so und so viele Juden sind ermordet wurden – auf einmal einen Namen bekamen und damit eine Individualität spürbar war. Das hat mir sehr sehr gut gefallen und deswegen dachte ich, da muss man vielleicht auch weiter dran festhalten.

Und Sie denken auch nach wie vor so über das Projekt?

Ja, ja ich denke schon. Wobei, ich weiß nicht genau, ob Sie sich nur mit den Stolpersteinen für jüdische Opfer befasst haben, denn das Konzept ist ja breiter angelegt; für alle Opfergruppen.
Und jetzt zum Beispiel gibt es eine Anfrage eines Mannes aus Bochum, der gern für einen ermordeten Homosexuellen einen Stein in Jena legen möchte. Und auch das finde ich gut und wichtig, dass man das in einer relativen Breite vornimmt.

Wir haben uns da auch erkundigt und wir haben verschiedene Meinungen dazu gefunden. Sie zählen also eher zu den Befürwortern?

Ja, ich kenne auch die Gegenmeinungen; ich weiß zum Beispiel, dass die Sinti und Roma das nicht möchten oder in München das nicht vorgenommen wird. Aber ich bin einfach anderer Auffassung. Ich finde, das ist eine gute Form der Erinnerung und auch des Gedenkens.

Wissen Sie, warum die Stolpersteine ausgerechnet in München abgelehnt werden?

Das weiß ich nicht genau. Also dem muss ja immer vorausgehen ein Beschluss des Stadtrates, weil die Stellen, an denen die Steine gesetzt werden hauptsächlich – ich glaube zu 90% - städtisches Eigentum sind. Und dann hat der Stadtrat in München eben ander entschieden als in anderen Städten.

Sie sind ja Mitglied in zahlreichen Arbeitskreisen, in denen Sie sich auch um die Erforschung der Einzelschicksale kümmern. Welchen Schwierigkeiten sind Sie bei diesen Forschungsarbeiten begegnet?

Also das Gefühl, dass man gegen die Zeit arbeitet, weil die Verwandten, die Familienmitglieder immer weniger werden. Und dieses Gefühl, dass Quellen verloren gehen. Das klingt jetzt, als gehen Menschen verloren, aber damit die Möglichkeit, etwas darüber zu erzählen. Das war ein ziemlich schweres Gefühl; schwer auszuhalten, dass man immer gegen die Zeit etwas tun muss. Das war so das erste und das zweite waren dann die Kontakte mit den Nachgeborenen, die waren manchmal sehr anrührend bis kaum auszuhalten irgendwie. Vor allem, weil das für viele sehr sehr wichtig war, die Erinnerung an ihre Großmütter oder Tanten oder so zu bewahren. Und es war für mich selbst auch sehr bereichernd – menschlich bereichernd - diese Kontakte zu gewinnen und Gespräche zu führen und mir anzuhören, was in den wenigen Nachkommenden noch für Erinnerungen da sind und für Emotionen.

Wir waren ebenfalls im Rahmen dieser Arbeit im Altersheim – im Luisenhaus – weil dort auch noch Zeitzeugen sind und da habe ich mit einer jüdischen Überlebenden gesprochen, die mir ihren Lebensweg sehr emotional geschildert hat.
Zu den Stolpersteinen in Jena: Wer hatte denn die Idee, das Stolpersteinprojekt auch nach Jena zu holen?


Also eigentlich war das meine Idee. Ich hatte Ihnen ja erzählt, wie ich dazugekommen bin. Und verstärkt wurde dann die Idee durch eine Begegnung mit Margarethe Holzman, deren Großmutter – Agnes Holzman, Forstweg 23 – in Theresienstadt ermordet wurde. Und ich hab dieser Margarethe Holzman, die in Giessen lebt, gesagt, dass wir darüber nachdenken, dieses Stolpersteinprojekt in Jena einzuführen. Und da war sie so glücklich und sagte sofort: „Ja ich möchte, dass an meine Großmutter erinnert wird.“ Dann sagte sie noch diesen einen Satz, der mich sehr berührte: „Meine Großmutter hat keinen Grabstein. Dann soll sie wenigstens einen Stolperstein haben.“ Und das war auch der erste Stein, den wir in Jena gelegt haben, und die Margarethe Holzman hat für ihre Großmutter auch diesen Stein gestiftet. Das hat aber immer zwei Seiten: Wenn die Nachkommen das möchten, dann ist das natürlich selbstverständlich, dass sie diesen Stein selbst bezahlen und setzen. Und sie hat das wie einen Grabstein gehandhabt. Aber es ist eigentlich nicht unbedingt zu erwarten, dass das die Nachkommen machen. Es ist eine Verpflichtung für uns, die sich aus einer anderen Perspektive mit dem Projekt befassen, die Erinnerung zu setzen. Aber es hat sich nie ein Konflikt ergeben, sondern immer eigentlich in gemeinsamen Absprachen funktioniert.

Also waren bei den Verlegungen die Angehörigen meistens mit dabei?

Ja, also zum Beispiel kam diese Margarethe Holzman dann nach Jena und hat dann am Stein bei der Verlegung was dazu gesagt, wer ihre Großmutter war und was sie für Erinnerungen hat und was sie in dem Moment empfindet.

Waren Sie hier in Jena bei jeder einzelnen Stolpersteinverlegung mit dabei?

Ja, ich glaube ja.

Und kamen bei den Verlegungen dann auch Bürger vorbei? Was haben Sie da für Erfahrungen hinsichtlich der Reaktionen von Jenaer Bürgern gemacht?

Also erstmal sage ich: gute. Aber man darf natürlich auch nicht zu viel erwarten. Deswegen kann ich sagen, gute Erfahrungen. Denn dass man dann glaubt, es gäbe einen Straßenauflauf oder so, das wäre eine übertriebene Erwartung. Wir hatten immer die Bewohner des Hauses informiert: „Wir legen vor Ihr Haus einen Stolperstein für den und den zur Erinnerung.“ Und es war häufig so - nicht immer, denn manchmal waren die Verlegungen auch tagsüber und Menschen müssen ja auch mal arbeiten – aber es war meistens jemand da aus dem Haus, vor das der Stolperstein gelegt wurde und es war auch ein Interesse da. Enttäuschend war dann vielleicht ein bisschen, dass dieses Interesse nicht wirklich wachgeblieben ist. Also ich wünschte mir, dass heute noch Hausbewohner vielleicht diesen Stein putzen oder selbst mal daran denken, mal eine Blume hinzulegen oder so. Und das ist eigentlich eher sehr sehr selten. Das habe ich auch beim Stolpersteinputzen am 9. November gemerkt. Dann kommen wir nach einem Jahr hin und man kann kaum noch die Inschriften lesen. Und unsere Gruppe überfordert das, regelmäßig durch Jena zu fahren und die Steine zu putzen. Damit will ich sagen: Für das Setzen des Stolpersteines hatten viele Interesse, aber diese Erinnerung zu bewahren, das ganze Jahr über oder über mehrere Jahre, das war dann nicht mehr so selbstverständlich. Und das finde ich schade. In welchen Abständen finden denn diese Stolperstein-Putzaktionen statt?

Also eigentlich einmal im Jahr, am 9. November. Aber es spricht ja nichts dagegen, dazwischen auch mal irgendetwas zu tun.

Wer waren in Jena die häufigsten Initiatoren?

Also für das Stolperstein-Setzen war es der „Jenaer Arbeitskreis Judentum“, der sich mit den Schicksalen befasste. Und für die Pflege und die Veranstaltungen dazu. Da war das der „Jenaer Arbeitskreis Sprechende Vergangenheit“. Und da ich zu beiden gehöre, habe ich das dann auch immer ein bisschen koordinieren können.
Und im letzten Jahr, das wollte ich noch sagen, was ich richtig schön fand, da war es das erste Mal, dass es nicht mehr von einer Gruppe ausging; also nicht von diesen beiden genannten Gruppen, sondern dass das jetzt eine andere zivilgesellschaftliche Initiative war. Und das, finde ich, sollte man gar nicht als Konkurrenz verstehen, sondern als eine richtig gute Erweiterung. Und das soll, glaube ich, dieses Jahr auch wieder so sein, da gibt es schon die ersten Vorbereitungen.

Und das war dann ja auch im letzten Jahr alles sehr friedlich vonstatten gegangen.

Was eigentlich immer so war. Außer im vorhergehenden Jahr, als die Nazis ihre Tour angekündigt hatten durchs Damenviertel. Das war eigentlich das erste und das einzige Mal bisher, dass es da eine richtig krasse Konfrontation gab zwischen den Menschen, die diese Erinnerung wichtig fanden und den Menschen, die sozusagen darauf rumgetrampelt sind.

Sind diese beiden Bewegungen dann auch aufeinander geprallt?

Naja, das würde ich jetzt nicht so sagen; es war ja eine Masse Polizei da.

Gab es in Jena schon Fälle von Randale an den Stolpersteinen?

Nein, das wüsste ich nicht. Ein Stolperstein in der Saalstraße ist ein wenig beschädigt, aber das kann auch ausversehen passiert sein. Was weiß ich ein altes kaputtes Auto drüber gefahren oder so... . Es finden ja immer mal Bauarbeiten statt, zum Beispiel hier am Johannisplatz. Dann werden die Steine herausgenommen, im Magazin gelagert und dann wieder eingesetzt. Also bei den Bauarbeiten ist die zuständige Abteilung der Stadt immer ganz aufmerksam und sorgt dafür, dass die Steine dann nicht kaputt gehen oder verloren gehen. Das ist ja an mehreren Stellen schon gewesen, wenn da Leitungen gelegt werden.

Gibt es in Jena wieder Planungen zum Verlegen von neuen Stolpersteinen?

Nein, denn mit Blick auf den derzeitigen Kenntnisstand – und ich glaube, der ist ziemlich solide – haben wir eigentlich an alle jüdischen Opfer erinnert. Also das wäre jetzt ein Zufall, den es natürlich immer geben kann, dass jetzt nochmal jemand auftaucht, der an jemanden erinnert haben möchte, dessen Schicksal wir übersehen haben. Aber wir haben sehr sehr gründlich geforscht. Bei unserem ersten Treffen haben Sie gesagt, dass jetzt auch verstärkt nach Euthanasie-Opfern und Homosexuellen forschen...

Ja, ich meinte erstmal nur die jüdischen Opfer, dadurch ist dieser Stand erreicht. Und jetzt muss man überlegen, ob man auch andere Opfergruppen mit einbezieht. Da kam jetzt eine Anfrage mit Blick auf das Schicksal eines Homosexuellen. Der Mann wurde 1944 in Buchenwald ermordet. Und es gibt einen jungen Mann in unserer Gruppe, der jetzt gar nicht mehr in Jena ist, aber zu dem wir immer noch Kontakt haben, der versucht, weitere Schicksale von Homosexuellen aufzudecken.
Und da könnte ich mir vorstellen, dass das weitergeht. Wobei bisher ja der Träger der „Arbeitskreis Judentum“ war, der das dann aber nicht mehr sein würde, da das ja dann eine andere Opfergruppe wäre. Ich bin jetzt gerade dabei, eine andere Gruppe dafür zu interessieren, die es hier in Weimar-Jena gibt und denen das erstmal zu sagen, dass es diese Möglichkeit gibt. Vielleicht interessiert es sie ja. Ich würde as Ganze gern wieder als Initiative und nicht als eine Privatangelegenheit in Gang bringen. Und was die Euthanasie-Opfer betrifft, so ist das ein bisschen schwieriger. Also wir haben jetzt 55 Schicksale, das sind viele und wir sind noch nicht ganz am Ende. Das ist unglaublich schwer, denn nachdem diese Menschen mit Krankheiten und Behinderungen umgebracht worden sind bis 1941, ist das gestoppt wurden. Und dann gab es die sogenannte „Wilde Euthanasie“. Das heißt Spritzen in der Klinik; darüber gibt es keine Berichte und deswegen ist das sehr schwer. Aber für 55 Menschen haben wir die Daten. Davon nochmal ungefähr für 2/3 mit Adresse. Aber wir haben es noch nicht durchgerungen, dafür Stolpersteine in Erwägung zu bringen. Denn finde erstmal 55 Leute, die da mitmachen und das finanzieren – eine Stein kostet über 100€. Und im Gegensatz – und das habe ich auch erst erfahren müssen – zu den jüdischen Opfern haben diese Opfer der Euthanasie so gut wie keine Lobby. Nicht einmal innerhalb der Familie. Manche Familien wollen das gar nicht, dass an ihre „geisteskranken, verrückten“ Verwandten erinnert wird. Und das ist sehr schwierig. Wir wollen da jetzt einen anderen Weg gehen, am Donnerstag haben wir ein Gespräch bei unserem Oberbürgermeister Albrecht Schröter und wollen anregen, eine Tafel in der Stadt aufzustellen, vielleicht im Rathaus. Auf der Tafel sollen die Namen genannt werden und die Lebens- und Todesdaten. Also eine Erinnerung an die Gruppe, aber mit Namen. Und das, finde ich, ist vielleicht eine angemessenere Form als die Stolpersteine. Da steht nämlich nur drauf „AktionT4- Opfer“ und viele wissen gar nicht, was das ist. Und wenn es dann die Verwandten nicht wollen, dass es vor ihrem Haus steht... . Also wir sind noch nicht ganz entschieden, aber wir wollen erstmal am Donnerstag mit Herrn Schröter darüber sprechen, ob wir eine Erinnerungsform anderer Art – mit einer Stele oder einer Tafel – in der Stadt vor dem Rathaus platzieren können. Der Aufwand ist ansonsten enorm und ich weiß nicht, ob uns das gut gelingt. Wenn wir nämlich anfangen, muss es auch für alle sein. Dann kann man nicht sagen: „Naja wir haben für zehn Leute Paten gefunden, und die anderen kriegen dann eben nichts.“ Was gäbe es denn sonst noch für alternative Gedenkformen zu den Stolpersteinen?

Eine Tafel oder eine Stele... . Also auch ein Objekt, wo – und das ist mir total wichtig – die Namen draufstehen. Und zwar die kompletten Namen draufstehen. Es gibt ja eine Opferdatenbank auf der Homepage der Stadt und da sind für die Euthanasie-Opfer zum Teil Kürzel. Das finde ich absolut unmöglich, denn da nimmt man ihnen ja nochmal die Würde. Es sind nun mal Menschen mit Vor- und Nachnamen gewesen. Also das wollen wir auf gar keinen Fall. Und es wird wahrscheinlich so aussehen, dass wir die 55 Namen nennen, mit den Daten, damit man auch sieht, dass sind reale Menschen und wo man sich anschauen kann, wie alt sind die gewesen und am Ende wird dann vielleicht stehen „und andere“. Weil wie gesagt, die „Wilde Euthanasie“, die kann man eigentlich nicht richtig erfassen.

Als wir uns das letzte Mal getroffen hatten, hatten Sie gesagt, dass es auch schwierig ist, die Daten für die Einzelschicksale zu bekommen. Ging das dann am Ende besser?

Ja also wir sind ganz schön weit gekommen, muss ich sagen. Für 55 haben wir die Geburtsdaten und die Sterbedaten. Und vielleicht für 1/3 haben wir dann noch weitere Informationen wie Berufe, Familienstand und Krankenhausaufenthalte. Und für ¾ haben wir wenigstens die Adressen. Wir hatten die Adressbücher. Da kann man natürlich nachschauen, wo die gewohnt haben. Aber wenn jemand Max Müller heißt, davon gibt es viele, da weiß man dann nicht, wo die wirklich gewohnt haben.

Wie lange hat das Projekt jetzt insgesamt gedauert?

2007 hat es angefangen. Also 2007 haben wir die ersten Steine verlegt. Und vor zwei Jahren, glaube ich, die letzten.

Sie sind ja sehr überzeugt von dem Projekt. Gibt es aber auch Aspekte, die Sie weniger gutheißen oder wo Sie Probleme sehen, die noch gelöst werden sollten bei dem ganzen Stolpersteinprojekt?

Also auf das Projekt bezogen finde ich, dass sich die Intention etwas verschoben hat. Jedenfalls hatte ich es anders verstanden. Ich dachte am Anfang, dass das Steine sind, die an Menschen erinnern sollen, die ihr Leben verloren haben. Aber jetzt gibt es auch schon Steine, die an Menschen erinnern, die 1942 in die USA emigriert sind oder die im Versteck überlebt haben. Ich finde, auch daran sollte man erinnern, aber man muss auch aufpassen, dass es nicht so ganz beliebig und unüberschaubar wird. Ohne den Emigrierten wehtun zu wollen, mit hatte die Anfangsidee, an die Todesopfer zu erinnern, eingeleuchtet. Und dass auf so einen kleinen Stein jetzt auch so viele Schicksalsinformationen (dann und dann emigriert...) kommen, ich finde, das zieht es ein bisschen in die Breite. Auch das ist vielleicht ein Grund, dass wir an die Euthanasie-Opfer jetzt anders erinnern.

Was finden Sie noch heute besonders toll; was bestärkt Sie, immer weiter zu machen?

Die Erinnerung muss bewahrt bleiben und da bin ich absolut überzeugt. Was mich auch so beeindruckt hat: Ich war in Holland, in Maastricht, und dort auf einmal diese Stolpersteine zu sehen, die im Ausland gesetzt werden, auch in Frankreich und so, das macht noch einen anderen Eindruck, muss ich sagen. Also das mal so zu sehen; es waren ja nicht nur die jüdischen Opfer in Deutschland oder in Jena, sondern ein europäischer Genozid und Holocaust und diese Breita fand ich dann schon wieder sehr beeindruckend, dass man dann auch im Ausland auf solche Steine stößt.
Noch einen Satz zu den Stolpersteinen in Jena. Also wir hatten ja damit angefangen, dass ich die Idee hatte. Und eine Idee zu haben und diese Idee dann umzusetzen ist nämlich gar nicht so einfach. Und ich hatte als Privatperson an den Bürgermeister geschrieben, dass ich das Projekt gut finde und dass ich gern möchte, dass das in Jena gemacht wird. Und da habe ich erstmal ein halbes Jahr keine Antwort bekommen. Und dann habe ich nochmal geschrieben und ich weiß gar nicht, ob ich da überhaupt eine Antwort bekam - jedenfalls keine Zustimmung. Und dann bin ich, weil ich dachte, ich krieg das so nicht hin – und ich kann ja nicht mit dem Herrn Demnig alles besprechen und habe dann von der Stadt gar keine Zustimmung; wer finanziert das dann alles... - dann bin ich zu dem Jenaer Arbeitskreis Judentum gegangen. Und das war also auch mein Grund, in diesen Jenaer Arbeitskreis Judentum einzutreten, weil ich Partner gesucht habe. Und da war ich in diesem Arbeitskreis natürlich an der richtigen Stelle. Da war das Interesse da, und dann der Kontakt mit dieser Frau Holzman... . Aber am Anfang bin ich wirklich als Privatperson gegen geschlossene Türen gelaufen. Da hat man das nicht ernst genommen oder nicht gewollt, das weiß ich nicht. Und auch jetzt, wo wir überlegt haben, auch für andere Opfer Stolpersteine zu setzen, bin ich mir gar nicht so sicher – und deswegen haben wir auch übermorgen das Gespräch. Bis jetzt war in der Stadt Konsens, dass für die jüdischen Opfer Stolpersteine gesetzt werden. Wenn wir jetzt eine andere Opfergruppe vorschlagen, müssten wir das vielleicht nochmal neu verhandeln. Also wir brauchen das Ja der Stadt, dass ist aber in allen Städten so, weil wir eben auf städtischem Grund das setzen müssten. Aber das wollen wir mit dem Herrn Schröter am Donnerstag besprechen, inwieweit er diese Erweiterung für möglich hält. Also rein juristisch betrachtet ist da noch eine kleine Stolperstelle. Und wie ging das dann mit den Stolpersteinen weiter, nachdem Sie in den Arbeitskreis Judentum eingetreten waren?

Dann ging das eigentlich relativ rasch. Das ist dann im Rahmen der Stadt irgendwie besprochen worden, ich denke im Stadtrat, und dann gab es eine Zustimmung, und dann sind wir an die praktische Setzung der Stolpersteine gegangen. Also das funktionierte immer so, dass wir einer Verantwortlichen für Denkmäler in Jena melden, dann und dann kommt Herr Demnig, um die Steine zu setzen. Dann bringt die ihre Tiefbauarbeiter in Trab, die nämlich die kleinen Löcher vorschaufeln und dann kommt Herr Demnig und setzt den Stolpersteine, was zehn Minuten dauert, da ja die Löcher schon vorgegraben sind. Und das muss eben jemand machen, der Insiderkenntnisse hat - wer weiß, dann läuft da vielleicht eine Telefonleitung lang oder irgend so was, man muss das ja ein kleines bisschen überlegt machen. Und das klappt aber total gut.

Waren hier in Jena bei den Stolpersteinverlegungen dann auch richtig Programme dabei?

Unterschiedlich. Schön war es immer, wenn Schulen Patenschaften übernommen hatten. Da haben die Lehrer sich auch Mühe gegeben. Zum Beispiel die Grete-Unrein-Schule, die Adolf-Reichwein-Schule und die Jenaplan-Schule. Da haben dann die Schüler die Biografie vorgetragen und ein passendes Gedicht. Oder es gibt ja auch die Nachkommen, hier in Lobeda bei der Klara Griefahn, die jaben dann am Stolperstein erzählt, was sie in Erinnerung haben von ihrer Großmutter. Es war meistens etwas, also es waren keine stummen Veranstaltungen. Eigentlich immer wurden die Biografien vorgelesen.

Und die Patenschaften wurden überwiegend von Privatpersonen übernommen?

Also hauptsächlich Privatpersonen, aber eben auch Schulen. Und das Aktionsnetzwerk gegen Rechtsextremismus, der AK Judentum und Vereine gegen rechts haben auch Partnerschaften übernommen.

Die Personen oder Vereine, die die Patenschaften übernommen hatten, waren die auch für die Finanzierung zuständig?

Ja also die, die die Steine haben setzen lassen, die haben die dann auch bezahlt.

Die Reihenfolge, in der die Stolpersteine gesetzt wurden hing mit dem aktuellen Forschungsstand zusammen?

Ja genau. Wir wollten ja was wissen über die Menschen, für die wir die Stolpersteine verlegen lassen. Und das haben wir dann so ein bisschen zusammengesetzt. Die Forschung ist ja nicht in aller Breite für alle 40 gleich weit. Sondern das ging ja immer Stück für Stück. Wenn wir das in Erfahrung gebracht hatten, dann haben wir uns gesagt: „Ja jetzt wissen wir eigentlich viel, jetzt können wir die Stolpersteine setzen.“ Und über manche wissen wir nicht viel, aber wenigstens die Daten und den Wohnort und dann konnte man das machen.
Als letztes vielleicht noch eine Sache, wo wir auch lange überlegt haben. Das ist der Stolperstein von der Elsbeth Herschkowitsch, also eigentlich Elsbeth Danziger. Da sind vier Steine, obwohl sie alleine da gewohnt hat. Sie hatte erst nach ihrer Emigration in Holland geheiratet und dort zwei Kinder gekriegt. Und wir haben jetzt den Stein für sie gesetzt in der Scheidlerstraße, und dann haben wir überlegt: „Ihre Kinder und ihr Mann sind auch umgebracht worden in Auschwitz.“ Und dann haben wir auch für die die Steine gesetzt, obwohl sie eigentlich nicht in Jena waren. Aber mir erschien das so grauenhaft, die Kinder von der Mutter wegzulassen. Denn die sind zusammen nach Auschwitz deportiert worden, nur die Kinder sind später geboren. Also solche Dinge haben wir dann einfach großzügig behandelt.